Über den achtsamen Umgang mit Pferden
Winterfell – die natürliche Hightechfaser

Winterfell – die natürliche Hightechfaser

Foto: Christiane Slawik
Foto: Christiane Slawik

von Dr. Christina Fritz

Dass Pferde ihr Fell zwischen Sommer und Winter wechseln, ist jedem Pferdebesitzer bekannt. Der Wechsel in das Winterfell startet dabei meist schon im August, wenn die Temperaturen eigentlich noch sommerlich sind. Der Wechsel vom Winter- zum Sommerfell findet – abhängig von den Temperaturen – meist ab Februar statt. Nach etwa zwei Monaten sollte das Fell komplett durchgewechselt sein. Dieses Phänomen des Fellwechsels hat sich im Lauf der Evolution als Anpassung an die Umweltbedingungen entwickelt. Woran wir allerdings nicht denken: Das Winterfell dient unter anderem als eingebaute Klimaanlage.

Man geht davon aus, dass unsere Hauspferde von vier ursprünglichen Pferdetypen abstammen, die sich in unter­schiedlichen Klimazonen entwickelt haben. Entsprechend haben alle diese Urpferde Mechanismen entwickelt, um mit ihrem jeweiligen Klima und den Umgebungstemperaturen zurechtzukommen: Jeder Typ ist an sein Klima angepasst. Die Urponys und Urtundrenpferde haben einen ausge­prägten Fellwechsel für die langen kalten Winter entwickelt. Die Ursteppenpferde und Uraraber sind dagegen haupt­sächlich in der Lage, über einen höheren Energieverbrauch (Muskelzittern) ihre Körpertemperatur während kurzer kalter Phasen aufrechtzuerhalten.

Bei unseren heutigen Hauspferden finden wir meist Mischformen der ursprünglichen Pferdetypen, wobei sie bei verschiedenen Rassen unterschiedlich stark vertreten sind. Robustpferde und Kaltblüter haben alle ein ausgeprägtes Erbe vom Urtundrenpferd und Urpony. Sie zeigen eine starke Winterfellbildung und in der Regel damit auch wenig Kälteempfindlichkeit. Barockpferde haben einen starken Urtundrenpferdanteil, wurden aber vom Menschen schon früh mit Arabern veredelt. Je nach Rasse kann hier ein starkes Winterfell ausgeprägt sein, wie bei den Friesen, oder kaum vorhanden sein, wie bei vielen Lusitanos. Der ursprüngliche Warmblüter hatte ebenfalls noch einen starken Anteil vom Urtundrenpferd, jedoch auch ein Erbe vom Ursteppenpferd. Durch die starke Veredelung mit Vollblütern in den letzten Jahrzehnten ist der Urtundrentyp in den Hintergrund getreten, der das „schwere“ Warmblut prägte. Heute finden wir vor allem „leichte“ Warmblüter, die das Erbe von Ursteppenpferden und teilweise Urarabern zeigen. Sie zeigen entsprechend auch eine geringere Winterfellbildung, was ja beim Sportpferd durchaus erwünscht ist. Vollblüter und Araber zeigen heute noch ganz klar ihre Abstammung vom Ursteppenpferd und Uraraber und bilden entsprechend wenig Winterfell. Diese Unterschiede treten deutlich zutage, wenn man einen Vollblüter neben einem Isländer im Winterkleid sieht.

Fell als Luftregulierung

Die Bildung vom Winterfell ist aber auch von den Umgebungstemperaturen abhängig. In Höhenlagen ist das Winterfell im Vergleich noch mal stärker ausgeprägt. Die Pferde passen sich normalerweise bei einer Umstellung innerhalb von zwei bis drei Wintern an ihre Umgebungstemperatur an. Natürlich wird aber ein Vollblüter auch in kältester Offenstallhaltung immer noch weniger Winterfell haben als ein Isländer – das ist die jeweilige genetische Veranlagung. Das Fell des Pferdes ist ein technisches Wunderwerk. Es kann heizen oder kühlen – je nach Bedarf. Dabei wird das Winterfell – im Vergleich zum Sommerfell – für eine bessere Wärmeisolierung extra mit einer Unterwolle unterfüttert, zwischen der die langen glatten, glänzenden Deckhaare stehen. Die Unterwollhaare sind stark gekräuselt – deshalb sehen sie auch nicht glänzend, sondern stumpf aus. Diese Kräuselung hat den Effekt, dass die Unterwolle eine dichte Schicht aus ineinander verwobenen Haaren bildet, in der sich ein Luftpolster hält. Luft hat eine schlechte Wärmeleitfähigkeit. Durch das Luftpolster in der Unterwolle bleibt die Wärme im Körper und die Kälte draußen: Jedes Pferd trägt also seine persönliche Daunenjacke. Wärmebildaufnahmen von Tieren zeigen, dass der Körper selbst bei kalter Witterung dank Winterfell kaum Wärme abgibt – lediglich im Bereich von Augen und Nüstern, wo die Behaarung viel weniger ausgeprägt ist. Man muss sich also erst mal keine Sorge machen, dass ein Pferd im Winter ohne Decke friert. Nicht nur in Bezug auf die Isolierung, sondern auch beim Feuchtigkeitsmanagement ist das Winterfell vergleichbar mit Hightechwinterkleidung für den Menschen. Auch das Pferdefell hat die einzigartige Fähigkeit, Feuchtigkeit von innen nach außen zu leiten, während gleichzeitig Feuchtigkeit von außen schon an der Oberfläche abgewehrt wird. Die Aufgabe der Wasserabweisung übernimmt zunächst das glatte Deckhaar. Es bedeckt die Unterwolle, sodass Wasser ablaufen kann und die Unterwolle sich nicht vollsaugt. Den zweiten Feuchtigkeitsschutz bietet das Wollfett, das von den Talgdrüsen gebildet und an den Haarschaft abgegeben wird.


Das könnte dich auch interessieren


Damit wird jedes Haar von einer hauchdünnen, wasserabweisenden Fettschicht umhüllt. Steht ein Pferd im Regen, so sieht es natürlich nass aus. Aber wenn man das Fell zur Seite biegt, dann stellt man fest, dass die Pferde meist nur oberflächlich nass sind, aber im Bereich der Haut trocken. Die Wuchsrichtung der Deckhaare sorgt außerdem dafür, dass das Wasser, das von oben kommt, optimal ablaufen kann.

Natürliche Trocknung

Schwitzt das Pferd, so wird diese Feuchtigkeit durch die Ka­pillarkräfte, die zwischen den Haaren wirken, von der Haut weg nach außen transportiert. Das Fell selbst wirkt damit wie eine natürliche Abschwitzdecke. Hat ein Pferd durch die Arbeit stark geschwitzt, so ist es zunächst klatschnass. Aber schon nach kurzer Zeit ist die Haut trocken, auch wenn das Fell oberflächlich oft noch sehr lange nass ist. Die Angst, dass sich ein Pferd sehr schnell erkältet, wenn es nach dem Reiten nicht staubtrocken wird oder eine Ab­schwitzdecke trägt, ist damit unbegründet. Da schließt der Mensch von sich auf das Pferd: Durch unser fehlendes Fell kühlen wir bei nasser Haut rasch aus, insbesondere wenn es auch noch windig ist. Beim Pferd jedoch sorgt Luftbe­wegung für ein schnelleres Verdunsten der Oberflächen­feuchtigkeit und damit für eine noch schnellere Trocknung von Haut und Unterwolle. Und ist diese trocken, so hat das Pferd rasch wieder ein wärmendes Luftpolster um sich herum, auch wenn das Deckhaar noch feucht ist. Das Pferd reguliert über sein Winterfell seinen Temperaturhaushalt, sodass es sich warmen, kalten und auch nassen Tagen wunderbar anpassen kann. Wird dem Pferd zu warm, kann es sein Haar durch die in der Haut liegenden Haarbalgmus­keln so aufstellen, dass die Wärme von der Haut schneller entweichen kann. Ist es kalt, wirkt die Luftpolsterschicht in der Unterwolle als Wärmedämmung. Regen läuft ab und Schweiß wird nach außen abtransportiert – er kühlt, ohne dass das Pferd frieren muss. Greift der Mensch hier ein und zieht seinem Pferd eine Thermodecke an, so ist das ein sehr menschliches Denken: Mir ist kalt, also ziehe ich mich wärmer an. Bei uns ist das nötig, weil wir kein Fell haben. Da man unter den Textilien seine Temperatur nicht mehr selbstständig regulieren kann, ziehen wir uns über den Tag mehrfach an und aus. Und hier bekommt das Pferd mit Thermodecke ein Problem: Die Decke nimmt dem Pferd die Möglichkeit, über den Haar­stellungswinkel und den „Fleecedeckeneffekt“ die eigene Körpertemperatur und ­-feuchtigkeit zu regulieren. Es ist ihm also wahlweise zu kalt, zu warm oder zu nass. Das wird insbesondere problematisch, wenn die Pferde auch noch geschoren werden. Das Scheren des Winterfells macht dem Reiter das Leben leicht: Das Pferd ist nach dem Reiten innerhalb von fünf Minuten wieder trocken. So die Theorie. Doch die Pferde produzieren noch lange Zeit nach dem Reiten vermehrt Schweiß, auch wenn der im geschorenen Fell nicht sichtbar ist. Er stockt unter der Thermodecke, weil er beim eingedeckten Pferd eben nicht ausreichend entweichen kann: Das Pferd bleibt lange feucht unter seiner Decke. Wie fühlen Sie sich nach dem Sport, wenn Sie Ihre Wäsche nicht wechseln können? Auch sollten Sie immer dafür sorgen, dass alle geschorenen Bereiche eingedeckt sind – denn sonst friert Ihr Pferd am Hals, während es unter der Decke schwitzt.

Hautpilz und Allergien

Um das eingedeckte Pferd optimal zu versorgen, muss man mehrmals täglich mit unterschiedlich gut isolierenden Decken umdecken – so wie wir unsere Jacke oder unseren Pullover an­ oder ausziehen, je nach Umgebungstempera­tur. Das macht in der Praxis niemand. Eine Thermodecke von Oktober bis März muss hier oft reichen. Das bringt aber auch hygienische Probleme mit sich. Stellen Sie sich vor, sie würden Ihre Unterwäsche im Oktober anziehen und dann im März wieder ausziehen. Wie würden Sie sich damit füh­len? Unseren Pferden muten wir genau dieses zu – und sie müssen damit auch häufig noch in ihren eigenen Fäkalien schlafen. Benutzte Thermodecken müssen mindestens ein­mal wöchentlich gewaschen werden. Sonst steigt bei Ihrem Pferd auch das Risiko für Hautpilz unter der verschmutzten Decke, denn der liebt das feuchtwarme Klima. Deshalb werden Thermodecken heute entweder mit Fungiziden imprägniert – die sich mit jedem Waschen weiter rauswa­schen – oder es werden Silberfäden eingewebt. Silber wirkt aber nicht nur gegen Hautpilze, sondern auch gegen Bakte­rien. Es stört damit die natürliche Hautflora, was das Pferd wiederum anfälliger macht für Hautprobleme wie Allergien oder Ekzeme. Was ist die Alternative? Dem Winterfell eine Chance geben, seine Leistung zu zeigen. Ein bisschen län­ger Schrittreiten oder ein Solarium nach der Arbeit sorgen schnell für trockene Haut und Unterwolle. Wenn das Pferd dann nicht in der Zugluft oder im Wind stehen muss, bis es abgetrocknet ist, kann es seine Körpertemperatur wunder­bar selbst regulieren. Schließlich hat es ein Winterfell.

… lesen Sie weitere Artikel rund ums Pferd in Natural Horse Heft 03/2014

Natural Horse 03/2014 ist zwar vergriffen, aber als epaper noch erhältlich!