beim Reiten und in der Bewegung
von Sibylle Wiemer
Pferde sind Wirbeltiere, genau wie wir Menschen. Unsere Körper unterliegen sehr ähnlichen biomechanischen Gesetzen. Sie sind durchzogen mit mehreren Muskelketten, die sowohl seitlich als auch auf der Bauch- und Rückenseite als auch innerhalb des Körpers verlaufen. Erstaunlicherweise haben bei den Pferden die Vorderbeine und bei uns Menschen die Arme vier eigene Ketten, die zum Rumpf führen. Was haben all diese Verbindungen mit der Dehnungshaltung des Pferdes beim Reiten zu tun?
Die meisten Reiter wollen ihr Pferd so reiten, dass es möglichst lange gut bemuskelt und gesund bleibt. Dabei ist es sehr wichtig, die Kopf-Hals- Position abwechslungsreich zu variieren. Denn die Faszien, die Muskeln, die Sehnen und Bänder des Pferdes sind keine starren Konstruktionen, im Gegenteil: Sie sind auf vielseitige Bewegung angewiesen. Schauen wir uns dazu die Muskelverbindungen im Körper näher an. Der amerikanische Mediziner Thomas Myers forscht seit über 30 Jahren in diesem Bereich und hat mit seinem Buch „Anatomy Trains“ ein radikales Umdenken in der Biomechanik veranlasst. Er hat das Bild entwickelt, dass die Knochen wie Bahnhöfe und die Muskeln, Sehnen und Bänder wie Gleise zu verstehen sind. Dabei sind das Becken und auch der Kopf ganz besondere Bahnhöfe, da an diesen Knochen fast alle Muskelketten des Körpers ansetzen beziehungsweise sich treffen. Daher ist in keiner Bewegung nur eine Muskelkette aktiv. Auch der moderne Begriff „Bio-Tensegrity“ bekam so einen ordentlichen Aufschwung. Tensegrity beschreibt genau dieses Phänomen, dass eine einzelne Muskelaktivität Auswirkungen an ganz anderen Stellen im gesamten Körper haben und nicht isoliert betrachtet werden kann. So wurde in der Biologie erforscht, dass ein Pferd seine Hinterhandaktivität ändert, wenn der Reiter die Kopf-Hals-Position verändert. Das wird zum Beispiel in der Légèreté als „Die Haltung beeinflusst die Bewegung“ gelehrt. Wenn der Reiter nun aber durch vermehrtes Treiben die Hinterhand beeinflusst, verändert sich die Kopf-Hals-Position. Dieses „Von-hinten-nach-vorn-Reiten“ lehrt die konventionelle Reitweise. So betrachtet haben also Vertreter beider Ansätze recht.
Von der Anatomie zur Biomechanik
Bevor wir uns überlegen, wie wir unser Pferd sinnvoll gymnastizieren können, schauen wir uns die großen Ketten einmal genauer an. Es gibt eine Muskelkette, die Rückenlinie, die am Hinterhaupt ansetzt und über die langen Rückenmuskeln hinunter bis zu den Hinterbeinen verläuft. Gegenüberliegend beginnt die Frontallinie, eine Muskelkette, die von den Hinterbeinen über die Bauchmuskulatur bis zum Unterkiefer verläuft. Dann gibt es die Laterallinien, zwei Muskelketten, die jeweils auf der rechten und linken Körperhälfte von den Hinterbeinen zum Kopf verlaufen. …
Lesen Sie mehr zum Thema im Artikel „Die Dehnungshaltung des Pferdes“ in Natural Horse 49 01/2024
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