Ein klarer Kopf kann Leben retten
Mit meinen 33 Lenzen habe ich so manche Krankheit überstanden. Einige waren schwer, andere unproblematisch. Am schlimmsten war die angerissene Sehne meiner Vorhand. Da fragte doch der Tierarzt tatsächlich meinen Menschen, ob ich ein Reitpferd oder Familienmitglied sei. Ich habe den Sinn der Frage im ersten Moment gar nicht verstanden – ich bin doch beides. Mein Mensch sagte sofort: „Familienmitglied!“ Da wurde mir erst klar, dass ich gerade einem Todesurteil entgangen bin. Mir gefror im Nachhinein das Blut in den Adern.
Die Behandlung wurde sehr teuer – aber das bin ich meinem Menschen wert!
Zum Glück hatte ich sonst immer eine nette Tierärztin, mit deren Isis ich gerne ausgeritten bin und die mich sehr mochte. Sie kam auch sofort, wenn es mir schlecht ging, pflegte meine Zähne, legte mir einen professionellen Verband an, wenn ich mal ein Hufgeschwür hatte, kümmerte sich um meine Entwurmung und versorgte so manche Wunde, die ich mir beim Raufen mit meinen Kameraden zugezogen hatte.
Auch bekam ich früher fast jeden November oder Dezember eine Kolik, die meistens glimpflich verlief. Allerdings keine mehr, seitdem ich wegen meiner platten Zähne Heuhäcksel bekomme. Die Heulage, die uns morgens gegeben wurde, war oft etwas schimmelig. Abends, wenn unsere Menschen in den Stall kamen, wurden wir mit gutem Heu gefüttert. Morgens sah es ja keiner – üble Sitten!
Wenn ich aber mal richtig krank wurde, zum Beispiel eine schwere Kolik oder eine Schlundverstopfung hatte, konnte ich meinen Menschen vergessen. Der konnte dann nicht einmal einen klaren Gedanken fassen, war nervös und stand der netten Tierärztin eher im Weg als behilflich zu sein.
Ich weiß ja, dass er mich liebt, aber wir Pferde brauchen besonders in Notsituationen einen klar denkenden Menschen, der uns das auch spüren lässt. Mein Mensch weiß genug über Erste Hilfe in Notsituationen, aber wenn es ernst wird, kann er es nicht anwenden. Das geht so nicht! Der Equidenpass hat stets an derselben Stelle zu liegen und darf nicht erst gesucht werden, wenn wir mal in die Klinik müssen. Und die Stallapotheke – die sollte von Zeit zu Zeit kontrolliert werden. Das Verbandmaterial sollte nicht Jahre alt sein und schon schimmeln, die Desinfektionssalbe nicht abgelaufen oder verdreckt sein und das Fieberthermometer sollte funktionieren. Das Wichtigste jedoch: Ruhig bleiben und systematisch vorgehen. Wir Pferde habe in solchen Situationen genug Angst, wir brauchen nicht noch eure Angst. Wir müssen euch auch in extremen Situationen vertrauen können.
In diesem Sinn, liebe Freunde, immer schön locker bleiben und einen kühlen Kopf bewahren. Dann klappt es auch in kritischen Situationen.
Euer Harry