Lösen und Sicherheit geben
von Anna Eichinger
Foto: Sabrina Reiter
Mein Lusitano Mandrake war mit der Aufstiegshilfe bestens vertraut, er parkte sich hoch motiviert davor ein und war ganz begierig auf die nächsten Schritte. Grundsätzlich habe ich eine 10er-Regel. Wenn das Pferd sich mindestens zehn Mal liebevoll anbietet und von ihm aus der Vorschlag kommt, dann ist es bereit für die nächsten Schritte. Diese Gefälligkeit darf man jedoch nicht ausnutzen. Jetzt ist jedenfalls der große Moment gekommen, es geht tatsächlich ans Reiten.
Für die ersten Runden unter dem Sattel stellt sich auch die Frage, wer denn überhaupt in den Sattel steigen soll. Bei meinem Lipizzaner Konrad war die Sache klar. Unsere Beziehung zueinander war so innig, wir vertrauten einander und Konrads Ausbildung am Boden war bereits sehr weit fortgeschritten. Ich wagte selbst die ersten Schritte unter dem Reiter und ließ mich keine fünf Mal an der Hand führen, ehe ich selbst die Führung aus der neuen Position von oben übernahm. Für Konrad war das kein Problem. Bei unserem Amena war die Sache anders. Amena vertraute mir, aber er braucht generell viel mehr Sicherheit vom Boden. Deshalb habe ich meine erfahrene Kollegin Julia in den Sattel gebeten. Gemeinsam haben wir sämtliche für Amena bereits bekannte Inhalte wiederholt. Dabei war ich für ihn eine Stütze von unten. Julia übertrug die bereits sicheren Hilfen in den Sattel. Wir haben am Lösen um den inneren Schenkel gearbeitet, an das Losgehen in den Schritt, etwas Abstand, Handwechsel, Lösen um den neuen inneren Schenkel auf der neuen Hand und Paraden zum Halten. Das klingt nach viel Inhalt, aber da Amena die Hilfen vom Boden bereits kannte, konnte er sich durch diese Sicherheit eher entspannen.
Vorbereitende Arbeit
Foto: Sabrina Reiter
Nun geht es weiter auf Distanz – beim Longieren nimmt der Reiter zunehmend Einfluss. Mandrake dehnt sich vertrauensvoll zur Hand im losgelassenen Vorwärts.
Manchmal wird einfach ein Reiter aufs Pferd gesetzt und eine Führposition begleitet das Duo. Das ist im Grunde nicht schlecht, Amena hätte sich jedoch sehr „allein“ gelassen gefühlt. Daher gab ihm die Arbeit an Inhalten noch viel mehr Sicherheit und einen bekannten Rahmen. Generell empfehle ich immer die Arbeit im Duo. Für das eine Pferd mag es in Ordnung sein, wenn die Vertrauensperson aufsteigt. Für das nächste Pferd ist es einfacher, sich auf die neue Aufgabe zu konzentrieren, wenn die Vertrauensperson in der gewohnten Führposition (vom Boden aus) bleibt.
Im Grunde ist es bei der Arbeit im Duo keine große Hexerei: Das Pferd, das bereits den inneren, um sich herumbiegenden, den direkten Schenkel für Vorwärts, den von sich wegbiegenden Schenkel, die direkten und indirekten Zügelhilfen kennt, bedeutet die neue Ausbildungsstufe lediglich die bekannten Inhalte sowohl mit Unterstützung von unten als auch durch neue Hilfengebung vom Sattel aus korrekt zu interpretieren. Der Vorteil bei der Arbeit zu zweit ist, dass die Hilfen vom Boden langsam ausschleichen können. Arbeite ich zunächst ein junges Pferd noch begleitend in der Frontposition, später auch als Longeur, kann ich den Reiter genau da unterstützen, wo Hilfe benötigt wird. Beispielsweise ist das Einhalten einer exakten Zirkellinie für junge Pferde, wenn sie durch das Reitergewicht belastet werden, noch einmal schwerer, weil vor allem die Rumpfträger auf der inneren Seite sehr belastet werden. Als Longeur erkenne ich sofort, wenn mein Reiter den inneren Zügel an den Pferdehals anlegt, um den Zirkel zu vergrößern. Meine zeigende oder fächernde Gerte kann dann diese Hilfe unterstützen. Mit der Zeit kann der Longeur jedoch die Intensität der zusätzlichen Hilfengebung ausschleichen, bis man quasi als Bodenpersonal komplett obsolet erscheint.
Mandrake habe ich mangels Unterstützung vom Boden ziemlich im Alleingang ausgebildet, und das auch noch etwas konträr, denn er war in der Bodenarbeit noch lange nicht so weit ausgebildet wie Konrad oder Amena. Die gemeinsame Vertrauensbasis war jedoch in ein breites Fundament gebettet, also konnten wir auf Spaziergängen in Begleitung auch einmal im Gelände aufsteigen und waren so auf bekannten Wegen einfach vorwärts unterwegs. Da das junge Pferd seinen Rücken noch eher krampfartig nach oben drücken wird, sobald es das Reitergewicht spürt, sind kurze Reprisen am Anfang zu empfehlen.
Erste Schritte – zu dritt
Wenn wir im Trio arbeiten, dann ist Achtsamkeit unser vierter Begleiter. Der Reiter nimmt im Sattel Platz und spürt, wie ihn das Pferd sitzen lässt. Hält das Pferd die Luft an? Drückt es bereits den Rücken nach oben? Ist es neugierig, dabei aber losgelassen? Wenn wir uns jetzt auch Zeit nehmen, in das Pferd hineinzuhören, lernt uns das Pferd als einfühlsamen Reiter und Ausbilder zu schätzen. Der Reiter spricht sich dabei immer mit der Begleitperson am Boden ab. Je besser auch hier die Zusammenarbeit funktioniert, umso wertvoller gestaltet sich die Pädagogik für das Pferd. Der Ausbilder am Boden stellt sich nun vor das Pferd und zeigt mit der Gerte in Richtung innerer Schenkellage. Nun berührt die Gerte das Pferd nicht mehr, sie hat lediglich eine zeigende Funktion. Der Reiter kann diese zeigende Hilfe bereits durch ein Sinkenlassen des Gesäßes der gleichen Seite verstärken. Aus der Hüfte heraus vibrieren wir vorsichtig mit dem gesamten inneren Schenkel ein wenig abwärts. Diese sanfte Vibration sorgt dafür, dass wir das Fell mit der Wade an der Flanke ein wenig gegen die Fellrichtung nach vorn streichen. Das junge Pferd kombiniert rasch die bereits bekannte Hilfe des Abwärtslösens vom inneren Schenkel durch die Gerte mit der neuen Hilfe von Sitz und Schenkel. Der Ausbilder vor dem Pferd unterstützt diese Hilfe, indem er auch durch die direkte Einflussnahme der Hand abwärts löst und eine Stellung vorschlägt. Im besten Fall reicht jedoch das Zusammenspiel von Gerte und Schenkel, und schon löst sich das Pferd vertrauensvoll zur nachgiebigen Hand hin. Jetzt lernt es auch, dass die Reiterhand grundsätzlich immer nachgiebig ist.
Wiederholungen als Hilfe
Foto: Sabrina Reiter
Bekannte Aufgaben schaffen Sicherheit. Schnucks kennt die ihm gestellte Aufgabe aus der Bodenarbeit. Nun macht Bewegung einen Sinn – auch wenn da ein Reiter auf ihm sitzt.
Wiederholungen helfen dem Pferd, sich an die Inhalte zu erinnern, und geben Sicherheit. Wir können die lösende Arbeit dann in Bewegung mitnehmen. Die Führperson ist entweder rückwärtslaufend vor oder vorwärtslaufend seitlich neben dem Pferd unterwegs. Nun können wir alle bereits bekannten Hilfen aus der Bodenarbeit gemeinsam umsetzen. Das Pferd zeigt, was in einer ersten Einheit möglich ist.
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