Es heißt, eine gute Leitstute hat ihr Ego überwunden. Sie muss sich nichts mehr beweisen, sich autoritär aufspielen und die anderen Herdenmitglieder tyrannisieren, um ihre Stellung zu festigen. Nein, eine gute Leitstute weiß, dass sie höheren Aufgaben innerhalb universeller Lebenszusammenhänge dient. Die Chefin in der Herde hat keine großen Gesten nötig. Eine minimale Bewegung eines ihrer Ohren ruft die anderen zur Ordnung. Finchen, so heißt die Leitstute, muss nicht beißen, schlagen, treten. Sie gibt Schutz, Sicherheit und handelt fair nach klaren Regeln. Die anderen Pferde haben keine Angst vor ihr, sondern begegnen ihr mit einem gerne entgegengebrachten Respekt. Sie orientieren sich an ihr.
Dieses Pferd ruht in seiner Mitte und schwingt beständig um seine eigene Achse – klar, bewusst und sicher. Das Wesen ihrer Mitstuten ist ähnlich, doch haben die Pferde unter ihr manchmal größere Gesten und Energieaufwendungen nötig, um sich zu behaupten.
Wenn eine Stute im Mittelfeld der Rangordnung an die Tränke möchte, so braucht sie nur die Ohren anzulegen und schon weichen die Rangniedrigeren. Steht ihr ein Pferd ähnlichen Ranges im Weg, so ist es schon mal nötig, die Energie im Körper hochzufahren, die Körperhaltung drohend zu verändern, um unmissverständlich klarzumachen, dass sie geradewegs zur Tränke möchte. Bleibt das andere Pferd dennoch stehen, wird weiter verhandelt: Beide fahren Energie hoch, drohen sich mit langen Hälsen, zeigen ihre Zähne und wenn das nicht hilft, drehen sie einander die Hinterteile zu, um zu sagen: „Gut, schauen wir mal, wer heute mehr Energie besitzt.“ In einer Pferdeherde geht es immer um das Verhandeln von Energie. Wer hat heute wie viel davon? Verteidigt ein Pferd seinen Platz, dann wendet es meist nur so viel Energie auf, wie nötig ist. Signalisiert das andere Pferd: „Okay, du bist heute stärker“, dann lässt ein sozialisiertes Pferd sofort vom anderen ab.
… lesen Sie im Artikel „Pferde durch Training schöner machen“ in Natural Horse Heft 4
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