Entspannte Pferde oder erlernte Hilfslosigkeit?
von Akki Schubert
Desensibilisierungstraining, auch Anti-Schreck-Training genannt, ist ein üblicher Trainingsansatz im Bereich Natural Horsemanship. Dabei werden Pferde mit einem Gegenstand, wie einer Tüte an einem Stick oder einer Fahne, konfrontiert. Das Training verläuft meist so: Die Pferde werden zu Beginn mit dem Gegenstand berührt. Bleibt das Pferd stehen, wird der Gegenstand umgehend entfernt und das Pferd wird mit dem Wegnehmen des Drucks gelobt. Dieses Vorgehen wird Schritt für Schritt gesteigert, sodass das Pferd final nach mehreren Trainingseinheiten unter grossen wehenden Planen hindurchgeht, Kanister im Galopp am Sattel baumelnd akzeptiert oder durch Flattervorhänge läuft. Das sieht spektakulär aus und ist für das Fluchttier Pferd eine erstaunliche Leistung, die gern vor Publikum präsentiert wird. Aber wie sinnvoll und pferdegerecht ist dieses Training?
Sinn der Desensibilisierung ist es, den Fluchtinstinkt der Pferde bei der Konfrontation mit fremden Gegenständen oder Situationen abzudämpfen und eher das „Denkhirn“ des Pferdes anzuschalten. Pferde sind sehr neugierige Tiere. Wenn es dem Menschen gelingt, dass das Pferd mehr und mehr Gegenstände, Geräusche und ungewohnte Bewegungen kennenlernt und als ungefährlich einstuft, kann das Pferd zu einem verlässlichen und entspannten Partner in jeder Situation werden. Doch es gibt einen Knackpunkt: Einige Reiter und Pferdebesitzer verteufeln die Desensibilisierung, da dieses Training angeblich stumpfe Pferde mit „toten Augen“ hervorbringt. Oft wird von erlernter Hilflosigkeit gesprochen, umgangssprachlich „tot-gehorsemanshipt“. Erlernte Hilflosigkeit tritt auf, wenn ein Pferd immer wieder in Situationen gerät, in denen es keine Möglichkeit hat, auf für das Tier angemessene Weise (wie zum Beispiel mit Flucht) zu reagieren. Der Begriff kommt aus der Psychologie und bezeichnet den seelischen Zustand, in den ein Mensch oder Tier gerät, wenn gelernt wurde, dass das eigene Verhalten keine Befreiung aus einer unangenehmen Situation ermöglicht. Wenn ein Pferd lernt, dass es nichts tun kann, um unangenehme Umstände zu verhindern oder zu ändern, erfährt es eine Hilflosigkeit, die sein zukünftiges Verhalten und seine Gesundheit prägt. Die Pferde ergeben sich der Situation und ziehen sich völlig in sich zurück. Ist das wirklich der Zustand, den das Anti-Schreck-Training verursacht? Ist Desensibilisierung Fluch oder Segen?
Warum der Mensch das Pferd „abhärten“ will
Der Fluchtinstinkt des Pferdes macht vielen Menschen Angst. Plötzliches Scheuen, panisches Flüchten und unkontrolliertes Buckeln unter dem Reiter sind für den Menschen sehr unangenehm. Viele Reiter fühlen einen Kontrollverlust, der in Angst umschlägt. Um mit dem geliebten Pferd zusammen sein zu können, ohne dabei um seine Gesundheit fürchten zu müssen, kann der Mensch sich entweder zum sattelfesteren Reiter ausbilden lassen, am Boden bleiben oder aber dem Pferd eine gute Ausbildung ermöglichen. Hier erkennen wir das übergeordnete Ziel des Anti-Schreck-Trainings: Der Trainer will dem Pferd über die Arbeit mit den unbekannten und zuerst gruseligen Gegenständen erklären, dass der Mensch, sobald er beim Pferd ist, für dessen Sicherheit garantieren kann. …
Lesen Sie mehr zum Thema im Artikel „Anti-Schreck-Training“ in Natural Horse 51 03/2024
Weitere Artikel in der gleichen Ausgabe
- Pferde und das Gesetz der Anziehung
- Harrys Welt 53_Audio
- Seelenwesen Pferd
- Vom Reitpferd zum Pflegepferd
- Phänomen sauberes Wasser
- Feine HILFEN – Reitunterricht unter der Lupe
- Feine HILFEN – Gute Balance des Pferdes
- Feine HILFEN – Zwischen Formgebung und Emotion
- Heilwissen der neuen Pferdewelt
- Ekzeme, Parasiten & Co.
- Die Haut – der Spiegel des Pferdekörpers
- Wenn es juckt und schmerzt
- Herzenspartner Pferd
- Erwartung und Resonanz
- Wie Pferde wahrnehmen, wie Menschen wahrnehmen