Pferdepersönlichkeiten fördern
von Jenny Wild und Peer Claßen
Wer hat folgenden Satz nicht schon Hunderte Male auf der Zunge gehabt oder laut ausgesprochen: „Warum hat er das jetzt wieder gemacht?“ Diese Frage gibt es in unendlich vielen Variationen und Abstufungen. Sie hört sich banal an, doch wer sich die Warum-Frage stellt, ist, meist ohne es zu wissen, einem der wichtigsten Geheimnisse auf der Spur, die es auf dem gemeinsamen Weg von Pferd und Mensch zu lüften gilt.
Pferde verstehen – geht das überhaupt? So einfach ist es nicht, denn wie so oft gibt es einen Haken: Man muss nämlich nicht nur die richtige Frage stellen, sondern man muss die Frage auch richtig stellen. Fatalerweise tun das die meisten Reiter nicht. Fatal, weil sie der Lösung so nahe sind und sie dann doch nicht zu fassen bekommen. Das soll heißen, dass sie den richtigen Impuls haben, aber mit der falschen Einstellung an die Sache herangehen. Sie suchen mit der Warum-Frage mehr nach dem Problem als nach der Lösung. Sie fordern, statt zu helfen, sie wollen etwas loswerden, anstatt es zu nutzen, sie wollen Ergebnisse erzielen, anstatt nach Wegen zu suchen, und sie wollen reparieren und nicht verstehen. Mit diesen Färbungen hat die Frage nach dem Warum einen Beigeschmack von Schuldzuweisung und Beschwerde. Sie unterstellt den Pferden, etwas falsch zu machen oder wenigstens falsch zu verstehen.
Kleine Veränderung, große Wirkung
Die kleine, aber entscheidende Veränderung liegt in der Einstellung, im Blickwinkel. Man muss das Pferd in den Mittelpunkt des „Warum“ stellen. Aus dieser Perspektive sieht man Dinge, die nicht gut laufen, nicht mehr als ein Problem für sich selbst, sondern als eines, das das Pferd hat. Plötzlich gibt es gar keine andere Möglichkeit, als zuerst dem Pferd bei seinem Thema zu helfen. Damit löst sich automatisch auch unser Problem in Luft auf. Exemplarisch dient hier folgendes Beispiel: das Verladen: Geht ein Pferd nicht in den Anhänger, interessieren sich die meisten Menschen in Wahrheit gar nicht dafür, warum das Pferd nicht in den Anhänger geht. Sie wollen im Grunde genommen nur wissen, wie sie es da hineinbekommen (also wie sie ihr eigenes Problem lösen). Beim Pferd kommt das auch genau so an. Es versteht nach wie vor nur die Botschaft: „Ich will, dass du da reingehst!“ Ist die Warum-Frage jedoch ernst gemeint, fragt man das Pferd erst nach den tatsächlichen Gründen (zu eng, zu wackelig, die anstrengende Fahrt, die Ankunft in fremder Umgebung und so weiter). Kümmert man sich darum, dem Pferd diese Sorgen zu nehmen, so wird eine ganz andere Botschaft bei ihm ankommen. Eine, die es ihm leicht macht, sich auf uns und folglich auch auf unsere Fragen und Wünsche einzulassen. Zugegeben: Das ist schwerer als gedacht, und man muss allzeit auf der Hut sein, um nicht wieder in alte (allzu menschliche) Muster zurückzufallen. Aber: Wenn Sie nicht zuerst ehrlich wissen wollen, werden Sie nicht verstehen können. Wenn Sie es nicht ernst meinen und Pferde nur zu Ihrem eigenen Nutzen durchschauen wollen, werden Sie niemals zum Pferdeversteher – höchstens zum Manipulierer. …
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