Hast du dir den Wunsch von einem eigenen Jungpferd kürzlich erfüllt, steckst du momentan mitten in der Planung oder träumst du noch davon, dass irgendwann ein Jungpferd bei dir einziehen wird? Egal an welchem Punkt du dich aktuell befindest, in diesem Artikel möchte ich dich in die Welt der Jungpferdeausbildung mitnehmen und dabei den Faktor Stress genauer betrachten.
Doch wann ist ein Pferd per definitionem ein Jungpferd? Von einem Jungpferd spricht man bei einem Pferd, das sich in der Altersspanne zwischen drei und sieben Jahren befindet. Diese Angabe soll jedoch nur als grober Anhaltspunkt gelten. Auch ältere Pferde, die in ihrem bisherigen Lebenslauf noch nicht viele Erfahrungen sammeln konnten, bezeichne ich persönlich als Jungpferde, wenn sie bisher beispielsweise nur auf einer Wiese standen und noch nicht mit ihnen gearbeitet wurde. In diesem Artikel geht es bewusst nur um Pferde ab dem Alter von mindestens drei Jahren. Jüngere Pferde sollten im Optimalfall in einer Aufzuchtgruppe stehen und mit der Ausbildung sollte überhaupt noch nicht begonnen werden.
In diesem Zusammenhang möchte ich mit dem Gerücht aufräumen, dass man ein Pferd zu stark macht, wenn man es später anreitet und/oder vor dem Anreiten am Boden schon weiter ausbildet. Dieses Gerücht hält sich leider hartnäckig. Wer daran glaubt, sollte seine Trainingsphilosophie grundlegend überdenken. Wenn man länger mit der Ausbildung wartet, ist das Pferd körperlich weiter gereift, im Idealfall durch die vorhergehende Bodenarbeit weniger schief und in einer besseren Balance. Warum sollte es diese gewonnene Stärke gegen den Menschen nutzen? Genau das Gegenteil ist der Fall. Je länger man mit dem Anreiten wartet und je weiter man das Pferd am Boden schult, desto einfacher, stressärmer und sicherer werden alle weiteren Schritte. Ich empfehle dir, auf jedem Fall mit dem Anreiten mindestens zu warten, bis dein Pferd viereinhalb Jahre ist, besser sogar länger. Somit hast du eineinhalb Jahre Zeit, dein Pferd am Boden auf seine späteren Aufgaben vorzubereiten.
Häufig bietet der Beginn der Ausbildung eines jungen Pferdes viel Potenzial für Stress, zum Beispiel dann, wenn man das Pferd kürzlich gekauft hat und es nach einem damit in der Regel verbundenen Stallwechsel noch seinen Platz in der Herde sucht. Parallel dazu lernt man es in dieser Phase kennen. In dieser Zeit wird das Pferd mit vielen neuen Eindrücken konfrontiert. Es lernt neue Dinge kennen und wird an bisher unbekannte Aufgaben herangeführt.
Stress gehört zum Leben dazu
Ganz egal, wie sehr man sich auch bemüht, es wird einem nicht gelingen, das Training komplett stressfrei zu halten beziehungsweise das Pferd von jeglichen Stressoren fernzuhalten. Mit anderen Worten: Stress gehört in gewisser Hinsicht zum Leben dazu. Auf jeden Organismus wirken permanent Reize von außen ein, die ihn beanspruchen. Dennoch können wir durch unser Handeln wesentlich dazu beitragen, gewisse Stressoren zu minimieren oder sogar vollkommen abzustellen. Eine artnahe, an den Bedürfnissen des Pferdes orientierte Haltung und Fütterung, ausreichend Platz, Bewegungsanreize und Sozialpartner sind die Basis für ein produktives Training und einen Rahmen, in dem das Pferd in seiner freien Zeit einen Ausgleich zum Training hat und sich erholen kann. Werden die natürlichen Bedürfnisse des Pferdes aufgrund suboptimaler Haltungsbedingungen nicht befriedigt und laufen dauerhaft stresshafte Prozesse ab, so bietet dies keine gute Grundlage für einen guten Start ins Training. Diese Prozesse können auch unterschwellig und schleichend ablaufen. Bietet die Haltungsform deines Pferdes ihm Ruhe und Sicherheit?
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Das Prinzip der kleinen Schritte
Eine durchdachte Vorbereitung schafft die Basis für alles Weitere. In jedem Fall zahlt sich eine gute körperliche und mentale Vorbereitung auf die zukünftigen Aufgaben eines Reitpferdes absolut aus. Jegliche Zeit, die man in dieser Phase sinnvoll investiert, wird es dem Pferd und einem selbst später einfacher machen und einen vielfachen Nutzen mit sich bringen. Alles das, was das Pferd am Boden bereits verstanden hat, muss es nur noch nach oben übertragen. Es muss also nur lernen, die Hilfe des Reiters von oben neu zu interpretieren. Natürlich fällt ihm dieser Übertragungsschritt viel leichter, als eine Hilfe und ihre Bedeutung in diesem Moment grundlegend neu zu erlernen.
Empfehlenswert ist immer, alles, was man dem Pferd für seine Zukunft beibringen möchte, kleinschrittig und spielerisch zu erarbeiten, denn so lernen Pferde am besten. Die Lerneinheiten sollten kurz gehalten werden und man sollte ein Gefühl dafür entwickeln, wann der beste Zeitpunkt gekommen ist, um eine Einheit zu beenden. Insbesondere bei jungen Pferden kann dies bereits nach wenigen Minuten der Fall sein, weil sie noch nicht in der Lage sind, sich lange zu konzentrieren.
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Lernen findet immer und überall statt
In diesem Zusammenhang ist es wichtig, sich bewusst zu machen, dass Lernen in jeder Sekunde stattfindet, nicht erst dann, wenn wir vorhaben, dem Pferd etwas beizubringen. Der Mensch entscheidet also nicht, wann das Pferd lernt, kann aber mit beeinflussen, was das Pferd in seiner Gegenwart lernt. Man darf sich dabei angewöhnen, kreativ zu sein und aus allem eine Übung zu machen.
Ich habe mir angewöhnt, potenziell stressige Situationen im Vorfeld losgelöst vom Ernstfall zu üben, damit sie im Fall der Fälle möglichst entspannt ablaufen. Ein Paradebeispiel hierfür ist wohl das Verladen. Häufig verladen wir unsere Pferde erst dann, wenn es sein muss. Das Pferd spürt unseren eigenen Stress, und ehe wir uns versehen, passiert beim Verladen ein eigentlich vermeidbarer Fehler. Schon verbindet das Pferd etwas Negatives mit dem Hänger. Warum also nicht unabhängig von der Notwendigkeit, das Pferd zu verladen, in mehreren kleinen Etappen die Neugierde eines jungen Pferdes ausnutzen und das Verladen positiv besetzt in kleinen Schritten aufbauen? Kleinschrittig würde in diesem Zusammenhang bedeuten, sich von der Vorstellung zu lösen, dass das Pferd in einer ersten Trainingseinheit bereits im Hänger stehen muss.
Aufbau einzelner Trainingsschritte
Ein weiteres Beispiel für das Prinzip der kleinen Schritte wäre die Gewöhnung an das Tragen eines Sattels. Je nach Pferdetyp kann das erste Mal von wenig spannend bis hin zu total gruselig ablaufen. Wie wäre es, zuerst eine Satteldecke beim Putzen über den Rücken zu legen, an einem anderen Tag behutsam mit einem Deckengurt zu gurten und einige Tage später ein Reitpad im Rahmen einer Bodenarbeitseinheit auf den Rücken zu gurten? Nach diesem Prinzip sichert man sich viele kleine Lernschritte nacheinander bei minimalem Stresslevel ab. Wenn dabei doch einmal Stress auftritt, was sich nicht gänzlich vermeiden lässt, so wird bei dieser Vorgehensweise schneller deutlich, bei welchem Schritt genau das Pferd ein Problem hat. Der Mensch hat dadurch die Möglichkeit, viel detaillierter darauf einzugehen. Das Verrückte an der ganzen Sache: In der Regel ist man auf diese Art und Weise viel schneller als mit der „Hauruckmethode“, eben weil sich keine Widerstände unbemerkt aufbauen. Achtsamkeit und geplantes Handeln zahlen sich also aus.
Unter einem zu hohen Stresslevel ist nachhaltiges Lernen nicht mehr möglich. Kommt es wieder und wieder zu einem für das junge Pferd zu hohen Stresspegel, so mindert dies auf Dauer die Motivation des Pferdes gegenüber dem Training. Das kann sich langfristig sogar negativ auf die Gesundheit auswirken.
Absolut wichtig sind Pausen im Training. Zum einen können das Pausen innerhalb einer Trainingseinheit sein, die Pferd und Mensch den Raum schaffen, kurz durchzuatmen. Aber auch Pausen zwischen dem Training, also Zeit, in der sich das Gelernte setzen kann. Sollte es doch einmal stressig gewesen sein, so braucht man Zeit, um sich davon zu erholen, ganz egal, ob man ein Mensch oder ein Pferd ist. Des Weiteren lernt das Pferd in Pausen mit dem Menschen, diesen nicht immer nur mit Anstrengung und Aktivität zu verbinden.
Wer ist mein Gegenüber?
Es ist wichtig, dass du lernst, dein Pferd einschätzen zu können. Pferde sind wie wir Menschen sehr unterschiedlich und bringen sehr verschiedene Anlagen und Themen mit ins Training. Jedes Pferd hat ein eigenes Stressempfinden, ist unterschiedlich tolerant Stressreizen gegenüber und hat seine eigene Resilienz. Mit was für einem Typ von Pferd hast du es zu tun? Wie schnell ist es gestresst? Und vor allem: Wie zeigt es dir diesen Stress? Ist es eher introvertiert/passiv und frisst Stress förmlich in sich hinein oder neigt es zu extrovertierten/aktiven Verhalten und entlädt sich schnell?
Wenn das Pferd noch in seinen Körper hineinwachsen muss
Es gibt außerdem auch Stress, der entstehen kann, weil das junge Pferd noch nicht in seinen Körper hineingewachsen ist und infolgedessen nicht in der Lage ist, eine bestimmte Aufgabe zu erfüllen. Ein Beispiel hierfür wäre ein junges Pferd, das unter dem Reiter noch sehr wenig ausbalanciert ist und deshalb seinem Gewicht hinterherläuft, weil es noch nicht in der Lage ist, einen Reiter zu tragen. Aus Angst, sein Gleichgewicht zu verlieren, und weil es sich in dieser Situation körperlich unwohl fühlt, gerät es dabei in Stress. Diese Situation ist aber nicht nur stressig, sondern auch frustrierend. Stress und Frustration beeinflussen das Lernen negativ und mindern die Motivation.
Im Übrigen ist es nicht selten der Fall, dass ein Pferd im Verlauf des Wachstums sein gewonnenes Körpergefühl phasenweise wieder verliert….
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